Gedenktafel erinnert an Opfer des Nationalsozialismus

„Es geht darum, Dinge sichtbar zu machen und Tatsachen für sich sprechen zu lassen.“ Mit diesen Worten erklärte Schulleiterin Annette Kerkemeyer die Bedeutung der Gedenktafel, die sich seit Kurzem an der Goetheschule Wetzlar befindet. Sie erinnert an das Schicksal Christian Wilhelm Mackauers, des ehemaligen Lehrers an der Goetheschule, der von den Nationalsozialisten aus dem Dienst vertrieben wurde und daraufhin in die USA emigrierte.

Die Gedenktafel ist Teil eines Projekt des Vereins „Wetzlar erinnert e.V.“, der es sich zum Ziel gemacht hat, die Spuren und Verbrechen der NS-Zeit in Wetzlar aufzuzeigen und damit zur Stärkung der Demokratie beizutragen. Die Tafel zum Gedenken an Christian Wilhelm Mackauer ist die 18. von insgesamt 26 geplanten. Anlässlich der Enthüllung fand ein Festakt an der Goetheschule statt, zu der zahlreiche hochrangige Gäste erschienen waren.

Schulleiterin Annette Kerkemeyer berichtete noch einmal, wie die Goetheschule auf die Geschichte Mackauers stieß. Ein unscheinbarer Fund einer dünnen Akte habe das Interesse der AG Schulgeschichte unter der Leitung von Dr. Holger Sturm geweckt. Mit großem Enthusiasmus habe diese dann begonnen, das Schicksal des ehemaligen Lehrers der Schule zu erforschen. Die Enthüllung der Tafel stellt nun den Höhepunkt der Arbeit dar. Kerkemeyers Dank hierfür galt insbesondere Ernst Richter, Vorsitzender des Vereins „Wetzlar erinnert“, der sich für die Gedenktafel eingesetzt habe, aber auch allen anderen Unterstützern.

Die Mitglieder der AG Schulgeschichte präsentierten den Gästen die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit: Christian Wilhelm Mackauer, 1897 geboren, war bis 1933 als Latein- , Griechisch- und Geschichtslehrer am Goethegymnasium in Frankfurt tätig. 1923 hatte er jedoch die jüdisch-stämmige Clara Mackauer geb. Oppenheimer geheiratet, was ihm die Missgunst des NS-Regimes einbrachte. Konsequenz war die Strafversetzung Mackauers an die Goetheschule nach Wetzlar im Jahr 1934, wo er allerdings nur bis 1936 tätig war, zunächst das Fach Geschichte nicht mehr unterrichten durfte und später zwangspensioniert wurde. Anders als viele andere Fälle endet die „Akte Mackauer“ allerdings positiv. 1940 wanderte das Ehepaar in die USA aus, wo Mackauer an der Universität von Chicago zu einem hoch angesehenen Geschichtsprofessor avancierte. Der geschichtswissenschaftliche Lehrstuhl der Universität ist noch heute nach Mackauer benannt.

Ernst Richter ging auf die Idee der Gedenktafeln ein. Der Verein „Wetzlar erinnert“  habe das Bedürfnis, den Gefahren am rechten Rand der Gesellschaft zu begegnen, dabei gehe es vor allem auch darum, junge Menschen zu erreichen. Man wolle zeigen, dass das Grauen der Konzentrationslager seinen Anfang an anderer Stelle nahm, sagte Richter: „Auch hier vor Ort, in jeder Stadt, an jeder Schule, an jeder Straßenecke.“ Er zeigte sich froh darüber, dass die Ergebnisse der AG Schulgeschichte zu Christian Wilhelm Mackauer jetzt dank der Gedenktafel und des beigefügten QR-Codes für jedermann zugänglich seien. „Das Projekt steht und fällt mit euch, liebe Schülerinne und Schüler“, so Richter.

Auch Landrat Wolfgang Schuster dankte den Schülerinnen und Schülern für ihre Arbeit und Ernst Richter für sein Engagement. Er appellierte an die Zuhörer, die Demokratie zu verteidigen, die von rechts bedroht werde. Denn, so Schuster, ohne Demokratie gebe es keine Freiheit, keine Entwicklung und keine Luft zum Atmen.

Wetzlars Oberbürgermeister Manfred Wagner überbrachte den Dank der Stadt für die Bearbeitung der Akte Mackauer und die Enthüllung der Gedenktafel. Wagner erinnerte an die Gleichschaltung der Gesellschaft durch die Nationalsozialisten, unter anderem durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, auf dem auch  Mackauers Entfernung aus dem Dienst basierte. Dieses Gesetz habe Recht, Gerechtigkeit und Menschenwürde zerstört und niemand habe damals seine Stimme erhoben.

Weitere Rednerin war Laura Pauli als Vertreterin der Akademie der Arbeit (AdA) in Frankfurt, die ebenfalls zu den Unterstützern der Gedenktafel zählt. Mackauer war bis zum Jahr 1932 Dozent und prägendes Mitglied der 1921 gegründeten Akademie, die 1933 durch die SA gewaltsam geschlossen wurde. Pauli gestand, dass es bei den Vertretern der Akademie bei der ersten Kontaktaufnahme durch Ernst Richter „nicht sofort geklingelt“ habe. Umso mehr dankte sie Richter für dessen „sympathische Hartnäckigkeit“, denn  nachdem man die Geschichte Mackauers erfahren habe, sei es der AdA ein besonderes Anliegen gewesen, das Projekt der AG Schulgeschichte zu unterstützen. Den Mitwirkenden dankte Pauli dafür, „dass ihr ein so wichtiges Stück Geschichte an einer Person aufarbeitet und hier mit uns teilt.“

Ein besonderer Gruß wurde den Anwesenden in der Aula der Goetheschule per Videobotschaft aus Chicago eingespielt. Prof. Elisabeth Clemens und Prof. John Boyer von der University of Chicago übermittelten ihren Dank für das Engagement der Verantwortlichen in Wetzlar. Boyer würdigte die Leistungen Mackauers, der an der University of Chicago seine Spuren hinterlassen habe. Mackauer habe sich stets für das kulturelle Leben und die akademische Freiheit eingesetzt und dabei die besten Werte der europäischen und der amerikanischen Kultur miteinander vereint.

Höhepunkt der Veranstaltung war die gemeinsame Enthüllung der Gedenktafel, die sich auf Höhe des Lehrerparkplatzes zwischen Busbahnhof und Haupteingang der Goetheschule befindet. Deren Stellenwert brachte Dr. Holger Sturm, Leiter der AG Schulgeschichte, auf den Punkt: „Zu seiner Zeit an der Goetheschule durfte Dr. Christian Wilhelm Mackauer aus rassenideologischen Gründen das Fach Geschichte nicht erteilen. Mit der Gedenktafel wird es Dr. Christian Wilhelm Mackauer jedoch posthum und dauerhaft möglich sein, unsere Schülerinnen und Schüler durch die „Geschichte seines Lebens“ zu unterrichten."

Die neue Gedenktafel ist zwar sichtbarstes, nicht aber das einzige Zeichen für den Einsatz der Goetheschule gegen rechtes Gedankengut und für das Aufrechterhalten der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar hatte die AG Schulgeschichte bereits allen Schülerinnen und Schülern an Wetzlars Oberstufengymnasium von ihren Forschungsergebnisse berichtet. Sie erinnerte in diesem Rahmen auch an die beiden ehemaligen jüdischen Goetheschüler Hans Moritz Stern und Ernst Rosenthal, der 1942 im Vernichtungslager Majdanek ermordet wurde. Außerdem präsentierte die AG Schulgeschichte die Ergebnisse ihrer Arbeit auch anlässlich des Holocaust-Gedenktages der Stadt Wetzlar am Bebelplatz bzw. am Mahnmal für die Opfer des NS-Regimes.

 

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